Offener Brief an die Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat

des Arbeitskreises kritischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (KRIBIBI)
an die Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat - 23.6.2012

Betreff: Öffentliche Büchereien und Wissenschaftliche Bibliotheken gemeinsam regeln

Sehr geehrte Frau Abgeordnete!
Sehr geehrter Herr Abgeordneter!

Für BibliothekarInnen ist es natürlich sehr erfreulich zu lesen, dass am 21. Juni „die Frage der Zukunft des österreichischen Büchereiwesens“ im Mittelpunkt einer aktuellen Aussprache im Kulturausschuss des Nationalrates stand – aber leider nur die Öffentlichen Büchereien. Da gibt es nämlich einen – „von Tisch und Bett“ getrennten – Partner, den Bereich der Wissenschaftlichen Bibliotheken, und diese beiden strikt separierten Teile gehören unserer Meinung nach zusammengeführt, wie dies in Europa und international üblich ist.

In der Tat aber bedarf das österreichische öffentliche Büchereiwesen besonderer Zuwendung, denn seine Situation ist extrem unerfreulich: „In nur 45% der Gemeinden gebe es ein Angebot an Öffentlichen Büchereien“, zitiert die APA Mag. Gerald Leitner, den Geschäftsführer des Büchereiverbandes Österreichs (BVÖ). Mehr als 80% dieser Büchereien werden ehrenamtlich betreut, die Öffnungszeiten sind daher entsprechend gering. 82% dieser Büchereien sind kleiner als 100m2, was auch nur kleine Bestände zulässt. Die vorwiegend ehrenamtliche Betreuung ist aber weder im Interesse der Bevölkerung, die einen Anspruch auf ordentliche Informations- und Literaturversorgung hat, noch ein Wunsch der unbezahlt arbeitenden MitarbeiterInnen. Wie die Antworten auf eine unlängst durchgeführte Befragung des Arbeitskreises kritischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (KRIBIBI /www.kribibi.at) ergaben, wünschen sich mehr als 90% der ehrenamtlich arbeitenden BibliothekarInnen an öffentlichen Büchereien einen bezahlten Arbeitsplatz in der Bibliothek. Die Mär von der Freiwilligkeit der Ehrenamtlichen lässt sich daher nicht länger aufrecht erhalten – die Ehrenamtlichen haben einfach keine andere Wahl!

Mit einer Politik der kleinen Schritte, wie sie Unterrichtsministerin Dr. Claudia Schmied im Sinn hat („Implementierung eines effizienten Steuerungssystems, Fördergesetz als Kofinanzierungsinstrument“) wird es also nicht getan sein. Das Bibliothekswesen muss als Ganzes betrachtet werden, ein gemeinsames Bibliothekengesetz muss u.a. klare Aufgabenbeschreibungen, Zuständigkeiten und Durchlässigkeit des Systems festschreiben. Dafür aber kann der BVÖ nicht alleiniger Gesprächspartner der Politik sein, der ja die Interessen nur der Träger der Öffentlichen Büchereien vertritt. Im Bereich der Wissenschaftlichen Bibliotheken wäre die Vereinigung österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB) der geeignete Ansprechpartner. Der Arbeitskreis KRIBIBI ist die einzige Gruppe in Österreich, die beide Hälften des österreichischen Bibliothekswesens im Blickfeld hat und schon viele Jahre für deren Vereinigung eintritt.

In der Realität haben sich die Aufgabenbereiche von öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken längst angenähert; wissenschaftliche Bibliotheken haben sich geöffnet und führen Veranstaltungen durch, große öffentliche Büchereien haben sich Sachbuchbestände zugelegt, die denen der wissenschaftlichen Bibliotheken kaum mehr nachstehen (wie z.B. die vielen bei den Büchereien Wien entlehnenden StudentInnen beweisen). Und es gibt auch gemeinsame Ausbildungslehrgänge.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wir als VertreterInnen des Arbeitskreises KRIBIBI ersuchen Sie eindringlich, sich für eine große Lösung der Probleme des österreichischen Bibliothekswesens einzusetzen und allen kleinformatigen Reparaturversuchen eine Absage zu erteilen. Für vertiefende Informationen und einen Meinungsaustausch stehen wir natürlich gerne zur Verfügung (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Freundliche Grüße
Nikolaus Hamann
Maria Binder
Ulrike Retschitzegger

KoordinatorInnen des Arbeitskreises
kritischer Bibliothekarinnen
und Bibliothekare

Stillfried, 23.06.2012